„Teil des Spaßes ist es, der Jury zu widersprechen.“ Interview mit dem Papierstau Podcast

Bereits zum zweiten Mal begleitet der Papierstau Podcast von Robin Schneevogt, Meike Stein und Anika Falke den Deutschen Buchpreis und wird alle 20 nominierten Titel besprechen! Im Interview verraten die drei Podcaster*innen, wie sie den Deutschen Buchpreis 2020 wahrgenommen haben und was sich im vergangenen Jahr bei Papierstau Spannendes getan hat.

Anika, Meike und Robin, ihr begleitet das zweite Jahr in Folge den Deutschen Buchpreis. Wie habt ihr den Buchpreis vergangenes Jahr wahrgenommen?

Meike: Wir sind beim Lesen und Besprechen von Preisen Veteranen, wir haben das zuvor schon mit dem Booker Prize gemacht. In der englischsprachigen Welt ist es sehr verbreitet, die ganze Longlist von Preisen zu lesen. So kamen wir auf die Idee, das nach Deutschland zu tragen. Wenn man alle Bücher liest, eröffnet das ganz neue Perspektiven.
Robin: Zwischen der Veröffentlichung der Longlist und der Shortlist war nur sehr wenig Zeit. Wir haben die Bücher aufgeteilt – aber jeder hat so viel gelesen, wie es ging. Es hat uns viel Spaß gemacht, Vergleiche zu ziehen und die Bücher in ein Verhältnis zu stellen.

Wie ist es denn, 20 Bücher in einer so kurzen Zeit zu lesen und zu besprechen?

Anika: Das war für uns eine besondere Herausforderung. Wie Meike gesagt hat, haben wir schon andere Longlists von Buchpreisen gelesen, aber in diesem Fall war es doch was anderes, weil die Zeit mit vier Wochen deutlich kürzer ist. Und man schaut auch mit einem anderen Auge auf die Bücher, wenn man weiß, dass man sie komprimiert im Podcast vorstellen muss. Obwohl wir Vielleser*innen sind, war das eine extreme Zusatzbelastung. Unglaublich toll war es trotzdem!

Meike Stein

Konntet ihr bei den nominierten Titeln bestimmte übergreifende Themen oder Motive entdecken?

Meike: Die übergreifenden Themen unterscheiden sich jedes Jahr, weil die Jurys wechseln. Das finden wir spannend, weil es dabei auch um grundsätzliche Fragen geht: Was erwartet man von diesem Preis und von Literatur allgemein? Soll sie zeitlos sein oder thematisch für das jeweilige Jahr stehen? Was muss sie ästhetisch leisten? Soll sie für alle Leser zugänglich sein oder besonders anspruchsvoll? Was für ein Mischverhältnis gibt es? Es macht Spaß, Schwerpunkte zu finden, Ausreißer auszumachen und sich zu fragen, was man selbst gemacht, welche Titel man selbst nominiert hätte.
Anika: Von Woche zu Woche konnten wir mehr Vergleiche ziehen. Es haben sich bestimmte Themen herauskristallisiert, darunter intergenerationale Traumata oder historische Geschichten, die aber auch auf die heutige Zeit übertragbar sind. Wir konnten mit den Wochen immer mehr Gemeinsamkeiten entdecken und Rückschlüsse und Vergleiche ziehen. Dadurch war das ein rundum spannendes Leseerlebnis. Und dann haben wir uns noch überlegt, wie die Shortlist aussehen könnte.

Gibt es irgendwelche Bücher oder Momente, die euch besonders in Erinnerung geblieben sind? Ihr wart ja ziemlich enttäuscht, dass Leif Randt nicht auf die Shortlist kam …

Meike: Teil ist des Spaßes ist es natürlich auch, der Jury zu widersprechen. Klar ist man traurig, wenn Favoriten nicht weiterkommen, aber unterm Strich geht es darum, die Liste als Anlass zu nehmen, um über Bücher zu diskutieren. Wenn man eigene Maßstäbe anlegt, ist es auch okay, mit der oder gegen die Jury zu argumentieren. Und ja, wir haben gaaanz subtil und gaaanz selten angedeutet, dass wir enttäuscht sind, dass Leif Randt nicht weiterkam …
Robin: Bei einigen Kandidaten auf der Liste waren wir eher skeptisch. Bei Hettche zum Beispiel, weil wir nicht wussten, was wir mit der Augsburger Puppenkiste anfangen sollen. Am Ende waren wir aber sehr eingenommen von dem Buch.
Anika: Was uns sehr gefreut hat, war, dass Deniz Ohde auf die Shortlist kam. Die Nominierung von „Streulicht“ war auch eine glückliche Fügung, die uns in unserer tollen Redaktionsauswahl bestätigt hat: Wir hatten direkt vor der Veröffentlichung der Longlist „Streulicht“ vorgestellt. Das Buch haben wir dann auf seinem Weg begleitet, das war richtig schön.

Anika Falke

Im Laufe des vergangenen Jahres habt ihr euch auch professionalisiert und im Juli eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet, außerdem kann man euch jetzt auf Steady unterstützen. Wie kam es dazu?

Meike: Für uns war es wichtig, unseren Podcast weiter auf- und auszubauen. Mit den Mitteln, die wir hatten, haben wir den Podcast ziemlich groß gemacht, wir sind inzwischen bei 40.000 Streams im Monat. Wir möchten unser Profil jetzt weiter schärfen. Interessant ist für uns das Lesen von Preislisten, auch international, um zu schauen, was woanders beleuchtet wird, außerdem ist uns wichtig, junge Literatur und Debüts zu besprechen. Und dafür brauchen wir Geld, wenn wir zum Beispiel zum International Booker Prize fahren oder zum Bachmannpreis, den wir dieses Jahr zum ersten Mal begleitet haben und bei dem wir nächstes Jahr physisch vor Ort sein wollen. Unsere laufenden Kosten haben wir bisher aus eigenen Mitteln finanziert. Wir sehen die GbR als Sprungbrett, um weiter zu wachsen, die technische Ausstattung zu verbessern und neuen Content zu bieten. Wir haben ganz viele Ideen.
Robin: Da wir jetzt Geld verdienen und investieren, haben wir den Podcast rechtlich und wirtschaftlich entsprechend aufgestellt. Vorher war alles locker und mündlich, aber jetzt sind wir nicht nur steuerrechtlich verfestigt, sondern auch schriftlich gleichberechtigte Gesellschafter.
Anika: Die Leute, die uns auf Steady unterstützen, wissen, dass dahinter eine Gesellschaft steckt. Für uns bedeutet das Sicherheit, für die Menschen Transparenz, weil sie dadurch erfahren, wo das Geld hingeht.
Meike: Wir sind jetzt inhaltlich und wirtschaftlich seriös! (lacht)

Was für Vorteile hat eure Steady-Community? Könnt ihr verraten, was für die Zukunft alles geplant ist?

Meike: Wir geben nicht raus, wie inhaltlich der Redaktionsplan aussieht, denn der ist unser Geschäftsschatz. Wir haben schon oft erlebt, dass unsere Konzepte oder Inhalte übernommen wurden. Deswegen: Wir machen einfach, und die Menschen, die uns unterstützen, erfahren das, wenn die Folgen draußen sind. Wir deklarieren unsere Ausgaben aber transparent auf Steady, damit die Leute wissen, wir geben das Geld nicht für Kronleuchter in unseren Schlössern aus!
Anika: Wie schon erwähnt hoffen wir, dass wir, wenn es besser wird mit der Pandemie, zum Booker Prize nach London fahren können.
Meike: Zur Erklärung: Auf Steady gibt es verschiedene Preisklassen mit extra Content jede Woche für unsere Community. Der ist entweder exklusiv oder vorab, wie zum Beispiel unser Interview mit Heinz Strunk. Wir haben auch eine Folge zum Buchpreis hochgeladen, die sich gewünscht wurde. In der geben wir Tipps für die Longlist ab, und darunter wird jetzt fleißig kommentiert und diskutiert, ob wir Recht haben oder ob was fehlt.
Robin: Genau, als Teil unserer Community kann man selbst Vorschläge machen, was man hören will. Wenn die Ideen in unser Konzept passen, dann produzieren wir diese Folgen. Bei höheren Stufen gibt es auch einen Buchclub und zweimal im Jahr einen Stammtisch mit uns. Da kann man mit uns quatschen – vielleicht sogar über Themen, die nicht buchbezogen sind!

Robin Schneevogt

Ihr habt mir das Stichwort geliefert: Was sind eure Tipps für den diesjährigen Buchpreis?

Meike: Unsere super Geheimtipps sind hinter der Paywall. Was kein Geheimnis ist: Wir wünschen uns Christian Kracht.
Robin: Und Lisa Krusche.
Anika: Timon Karl Kaleyta!
Meike: Und Tijan Sila. Das sind die Autoren, die wir auch schon gepusht haben.
Anika: Wir hoffen auf Überraschungen. Es werden natürlich etablierte Personen dabei sein. Aber da wir einen Fokus auf Debüts und jungen Autor*innen haben, würden wir uns auch sehr über unbekannte Namen freuen.
Meike: Möglich ist alles, und das ist auch der Spaß daran. Wenn man vorher schon wüsste, wer gesetzt ist, wäre der Spaß dahin. So drückt man Autoren die Daumen, jubelt, wenn sie nominiert werden und ärgert sich, wenn nicht, auch mal über die Jury. Ich finde es richtig und wichtig, dass die Jury nicht 100 Prozent vorhersehbar ist.

Die Fragen stellte Isabella Caldart