Den Deutschen Buchpreis für die Ohren – detektor.fm veröffentlicht täglich eine Leseprobe der 20 nominierten Titel. Wer sich mehr für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Romanen interessiert, ist beim Podcast Papierstau genau richtig. Robin Schneevogt, Meike Stein und Anika Falke laden wöchentlich eine Folge hoch, in der sie jeweils fünf nominierte Bücher besprechen. Ein hohes Pensum – an das die drei Podcaster*innen gewöhnt sind. Was motiviert sie, so viel zu lesen und darüber zu sprechen? Wir haben bei Robin Schneevogt und Meike Stein nachgefragt.
Robin, du bist Gründungsmitglied, Meike und Anika kamen später dazu. Wie habt ihr in der jetzigen Konstellation zusammengefunden?
Robin: Das geschah zufällig über Goodreads. Wir schreiben dort Rezensionen und haben uns so kennengelernt. Da wir oft dieselben Bücher lesen und die gleiche Meinung haben, sind wir über die Kommentare in Kontakt getreten. Irgendwann habe ich ins Blaue gefragt, ob sie mitmachen wollen.
Meike: Genau, wir hatten uns über die Kommentarfunktion immer länger unterhalten, bis Robin zu mir meinte: Komm in den Podcast! Ich bin seit Folge 69 dabei, in der ich „Die Toten“ von meinem Lieblingsautor Christian Kracht vorgestellt habe. Anika ist über eine ähnliche Situation dazugestoßen und inzwischen auch schon seit einem Jahr dabei.
Den Papierstau Podcast gibt es seit 2016, also einer Zeit, in der Podcasts noch nicht so allgegenwärtig waren wie jetzt. Wie kam es zu der Idee?
Robin: Das hat sich ebenso zufällig entwickelt. Tim, Yannick und ich haben uns über Twitter kennengelernt. Yannick hatte einen Tweet verfasst, auf den hin Tim und ich uns bei ihm gemeldet haben. Wir waren uns nicht einmal gegenseitig gefolgt, sondern hatten Retweets von anderen Leuten aus der gleichen Bubble gesehen. Gemeinsam haben wir unser Konzept ausgearbeitet und sind nach ein paar Monaten mit dem Podcast online gegangen. Bis zur Buchmesse ein Jahr später hatten wir uns nicht einmal live gesehen!
Ihr nennt euch „Knechte der Literatur“ im Untertitel. Wie viel lest ihr?
Robin: (lacht) Das war eigentlich ein Placeholder, der sich durchgesetzt hat.
Meike: Anika und ich fanden das lustig. Bei den vielen Folgen, die wir machen, also jede Woche mit jeweils drei Büchern, kann man sich vorstellen, dass unser Lesepensum komplett außer Kontrolle geraten ist. Wir alle lesen wahnsinnig viel.
Robin: Mein Zimmer ist voll mit Büchern! Ungefähr einmal im Monat stelle ich Bücher in Bücherschränke, sonst würde ich darin ertrinken. Wir lieben Literatur mit Haut und Haar. Der Stellenwert hat sich auch vergrößert. Am Anfang war der Podcast ein Hobby, inzwischen ziehen wir ihn seriös auf.
Wie stellt ihr inhaltlich die Folgen zusammen – sucht ihr euch erst ein Thema aus und dann die passenden Bücher dazu oder umgekehrt?
Meike: Wir haben Themensendungen wie etwa zu Frankreich oder Beat-Literatur, aber nicht jede Folge hat einen Schwerpunkt. Wir erstellen zunächst separat Listen; Anika und ich lesen auch viel auf Englisch, deswegen kennen wir manche Bücher bereits, bevor sie in Deutschland erscheinen. Wir folgen außerdem Buchpreisen. Marieke Lucas Rijneveld, die jetzt den International Booker Prize gewonnen hat, hatten wir schon früh im Podcast. Wir achten sowohl auf wichtige Bücher als auch auf den eigenen Geschmack.
Robin: Wenn die Programme der Verlage rauskommen, machen wir große Konferenzen über Skype.
Meike: Das ist eine Mammut-Redaktionssitzung, in der die Folgen festgelegt werden. Wir haben jetzt schon bis Ende des Jahres geplant, was wir lesen. Uns ist Literatur aus kleineren Ländern wie Grönland oder Nigeria wichtig, außerdem junge Autorinnen und Autoren und Debüts.
Wie aktuell sind dabei die Bücher, die ihr auswählt?
Meike: Meistens versuchen wir, die ganz aktuellen direkt um den Erscheinungstermin zu besprechen. Manchmal ist auf unserer Liste aber noch ein Platz frei, und dafür haben wir einen Backkatalog mit Büchern, über die man noch sprechen könnte. So kam zum Beispiel „Miami Punk“ von Juan S. Guse in die Folge mit „Flexen in Miami“ von Joshua Groß.
Robin: Es bleiben öfter Bücher „liegen“, die nicht mehr in die Folgen passen, wenn es zum Beispiel zu viele Neuerscheinungen an einem Datum gibt. Diese Bücher holen wir später wieder raus.
Ihr führt auch Interviews mit Autor*innen. Nach welchen Kriterien sucht ihr eure Gesprächspartner*innen aus?
Meike: Wir sagen immer halb im Spaß, halb im Ernst, dass wir die härteste Tür im Podcast-Business haben. Wir fragen nur Autoren an, die wir super finden, bei denen wir uns freuen, sie ausfragen zu können. Letztens hatten wir ein Gespräch mit dem isländischen Schriftsteller Sjón, das war ein Traum von mir.
Robin: Generell freut man sich, die Lieblingsautoren zu treffen. Weil wir den Podcast privat und unabhängig machen, können wir uns das frei aussuchen.
Du lieferst mir das Stichwort. Du wohnst in Münster, Meike in Saarbrücken und Anika in Hannover. Wie habt ihr die Interviews – vor Corona – geführt?
Robin: Einige Autoren wie etwa Joey Goebel oder Timur Vermes haben wir live getroffen, auf Messen, auf Veranstaltungen, oder wenn einer in der Nähe von uns ist. Sonst machen wir das über das Internet.
Meike: Unseren Podcast nehmen wir auch über Skype auf.

Robin Schneevogt, Meike Stein und Anika Falk
Ihr habt ja schon gesagt, dass ihr jede Woche eine Folge aufnehmt. Was passiert, wenn jemand ausfällt oder mal keine Lust hat?
Meike: Keine Lust haben gibt es bei uns nicht! Wir können auch zu zweit Folgen macht, es ist aber ewig nicht mehr passiert, dass jemand ausgefallen ist. Nicht zuletzt durch Corona haben wir mehr Zeit. Aber wir haben auch flexible Lösungen, könnten auf einen Gast zurückgreifen. In dieser Dreierkonstellation mit Robin, Anika und mir ist das aber noch nicht vorgekommen.
Wie entscheidet ihr, wer welches Buch liest?
Robin: Meistens wird schon vorher bei der Redaktionssitzung entschieden, wer was lesen möchte, und so eine Hauptperson ausgewählt, die das Buch vorstellt. Wer Zeit hat, liest dazu noch die Bücher der anderen – und das passiert oft!
Wow! Wie lange dauert denn, vom Lesen abgesehen, die Produktion einer Folge?
Meike: Der Podcast macht super viel Arbeit, das Lesen, darüber sprechen, Redaktionspläne erstellen, Fotos und Texte für Instagram machen, außerdem Recherchieren wir zum Autor, anderen Werken, lesen, wenn es sie gibt, bereits veröffentlichte Rezensionen … Das kann man nicht durchziehen, wenn man das nicht liebt.
Robin: Wir stehen immer in Kontakt. Dreißig WhatsApp-Nachrichten am Tag sind ein ruhiger Tag.
Meike: Man muss fairerweise sagen, dass Robin die technische Arbeit ganz alleine macht. Dafür schreiben Anika und ich viele Instagram-Texte, organisieren Autorenfotos. Wir teilen uns die Arbeit.
Robin: Die Aufnahme an sich dauert zwei Stunden, die Post Production acht bis zwölf Stunden pro Folge.
Meike: Jeder von uns investiert locker zwei Stunden am Tag.
Robin: Wahrscheinlich sogar mehr.
Meike: Ja, du hast recht, drei ist realistischer. Wir beantworten die Kommentare auf Instagram und sind mit Followern auf Goodread in Kontakt. Wir haben ganz viele Spielfelder.
Die erste Folge, in der ihr fünf Titel der Longlist besprecht, ist bereits online. Was dürfen Leser*innen und Hörer*innen rund um den Deutschen Buchpreis noch von euch erwarten?
Meike: Wir lassen auch in den kommenden drei Folgen jeweils fünf Bücher gegeneinander antreten. Wir besprechen die Bücher erst einzeln und schauen, ob sie in unseren Augen berechtigt nominiert sind, dann vergleichen wir sie miteinander. Das macht bei dieser Longlist besonders Spaß, weil sie thematisch breit ist, was sich perfekt für eine Diskussion eignet. Am Ende erstellen wir unsere eigene Shortlist und schauen dann, welche Überschneidungen es mit der Shortlist der Jury gibt. Ein Interview hatten wir schon vor Verkündung der Longlist angefragt: mit Roman Ehrlich. Es wird außerdem eine Shortlist- und eine Preisträger-Folge geben.
Robin: Stichwort härteste Tür: Wenn uns der Gewinnertitel gefällt, planen wir auch ein Interview mit dem Preisträger.
Meike: Damit wollen wir natürlich nicht die Entscheidung der Jury infrage stellen. Es macht Spaß, unterschiedlicher Meinung zu sein. Das ist wie ein sportlicher Wettkampf, deswegen gestalten wir unsere Instagram-Fotos mit Sportthemen. Übrigens: Letztes Jahr haben wir Saša Stanišić als Preisträger richtig vorhergesagt!
Die Fragen stellte Isabella Caldart