Drei Fragen an… Christine Lötscher

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Christine Lötscher, 1970 in Zürich geboren, hat bereits jahrelange Buchpreis-Erfahrung gesammelt: Von 2011 bis 2013 war sie Jurorin für den Schweizer Buchpreis. Die freie Kritikerin, die zum Thema „Das Zauberbuch als Denkfigur – Lektüre, Medien und Wissen in der fantastischen Literatur“ promovierte, schreibt unter anderem für den Tages-Anzeiger und die Fachzeitschrift Buch&Maus. Sie war Teil der Sendung „Literaturclub“ im SRF und forscht an der Universität Zürich über Alice im Wunderland und ihre Spuren in der Populärkultur. Zurzeit ist sie Fellow der Kollegforschergruppe Cinepoetics an der Freien Universität Berlin.

Christine Lötscher auf Twitter

Worauf freuen Sie sich in Ihrer Tätigkeit als Jurorin für den Deutschen Buchpreis 2018?

Schon als Kind habe ich davon geträumt, von Beruf Leserin zu werden. Damals hatte ich aber keine Ahnung, dass das wirklich möglich ist. Juryarbeit liefert mir die überzeugendste Ausrede, mich dem Lesefieber ungebremst hinzugeben.

Am meisten freue ich mich aber auf die Diskussionen in der Jury. Als Literaturwissenschaftlerin und -kritikerin brüte ich Tag für Tag über Texten. Doch ein Buch ist erst ein Buch, wenn es gelesen wird – was bedeutet, dass in einer siebenköpfigen Jury jeweils sieben unterschiedliche Lektüren eines Romans aufeinandertreffen. Erst wenn diese miteinander in einen Dialog kommen, wenn man nachfragen, widersprechen und gemeinsam die Poetik eines Textes herauspräparieren kann, entfaltet sich das ganze Potential eines Romans. Das ist schon einmal ein Kriterium für seine Qualität.

Was macht für Sie einen guten Roman aus?

Ein guter Roman ist einer, der mich Gedanken denken und Gefühle fühlen lässt, auf die ich sonst nicht gekommen wäre, und mich die Welt, die Menschen und die Dinge in einem anderen Licht sehen lässt. Der mich von Satz zu Satz neugierig macht, weil es ans Eingemachte geht und weil er mich in meine eigenen Widersprüche verwickelt. Einer, zu dem mir immer wieder etwas einfällt, auch lange, nachdem die Buchdeckel geschlossen sind und er sich ins Regal eingereiht hat. Einer, über den ich endlos und kontrovers diskutieren möchte – weil er seine Botschaft nicht offen vor sich her trägt, sondern selbst als Reise ins Ungewisse entstanden ist. So ist er offen für unterschiedliche Lektüren. Das hat aber nichts mit Beliebigkeit zu tun, im Gegenteil. Es braucht dazu einen entschiedenen Zugriff; einen Ton, eine Sprache, eine Komposition. Ein guter Roman gestaltet einen Konflikt, eine Erfahrung, ein Lebensgefühl, das alle oder viele Menschen angeht, sich aber nicht mit der Sprache ausdrücken lässt, die uns in der alltäglichen Kommunikation zur Verfügung steht. Das darf verstörend sein und wehtun. Es darf aber auch witzig und unterhaltend, schwierig und herausfordernd oder schräg und verrückt sein.

Was würden Sie diesen Sommer tun, wären Sie nicht Teil der Jury?

Genau dasselbe: lesen.