Ereignisse, die Leben prägen
Es gibt auf der Welt Großereignisse, die ganze Generationen prägen, die sich einbrennen in das kollektive Gedächtnis und bei denen jeder weiß, was in genau diesen Momenten getan wurde und, auch wichtig, wo man war. Auch ich selber habe, wie so viele, ein solches Ereignis, die unsere Politik bis heute bestimmt und eine Aggressivität in die westliche Welt brachte, die uns auch heute noch beschäftigt. Die Rede ist von den Anschlägen auf das World Trade Center, die sich vor ein paar Tagen schon zum 18.Mal jährten.
Mit diesem Ereignis wurde das 20.Jahrhundert endgültig begraben und mit ihnen auch die 1990er, welche eine Freiheit versprachen und den eigentlich fröhlich freundlichen Umgang der Menschen miteinander, der sich meinem Gefühl nach in den 1990ern etablierte. Doch es gab auch im 20. Jahrhundert schreckliche und schöne Ereignisse, an die sich ganze Generationen erinnern, weil sie daran teilgenommen haben oder an die wir uns als Menschheit immer erinnern werden. Der Autor Norbert Zähringer nimmt das Großereignis Mondlandung 1969, welche in diesem Jahr das 50.Jubiläum feiert und eine technische Meisterleistung darstellte. Jeder, der das damals live miterleben konnte, als die ersten Menschen den Mond betraten, kann auch heute noch sagen, was er erlebt hat und wo er war, als Neil Armstrong den ersten Fußabdruck im Mondstaub hinterlassen hatte. Um diesen ganzen Rummel verankert sich die Geschichte der Familie Rohn, an dem Abend, als die Apollo 11 in die Umlaufbahn des Mondes eintrat, werden Weichen gestellt, die ganze Leben verändern sollen. Doch die Mondlandung ist nicht das einzige Ereignis, welches im Buch vorkommt. Die beiden Weltkriege, Flüchtlingstrecks aus dem Osten nach 1945, DotCom-Blase, Vietnamkrieg, Voyager-Mission und vieles mehr wird entweder etwas detaillierter beschrieben oder kurz angerissen. An vielen dieser Punkte in der Geschichte spielt die Familie Rohn eine Rolle beziehungsweise wird in diesen Ereignissen beschrieben. Besonders hinsichtlich der Grundaussage, wo diese Menschen zu den Zeitpunkten waren, welche Entscheidungen sie getroffen haben.
Alles beginnt in einem höllischen Kinderheim

In dem fiktiven Dorf/Städtchen Neuorth, einer der zentralen Ankerpunkte in dieser Geschichte, steht ein altes Kloster, welches als Kinderheim Verwendung findet. Doch in diesem Kinderheim geht es höllisch zu, denn der Erzieher Herr Martin nimmt alle Kinder in die Mangel, um sie strenger Erziehung zu unterziehen. Die Strafen sind drastisch, schon bei leichtesten Vergehen der Kinder gibt es Isolationsstrafen oder Schläge mit dem Gürtel. In diesem Kinderheim lebt auch der fünfjährige Hardy, der dort nur die Nummer 13 ist. Seine Eltern sind angeblich bei einem Unfall gestorben. Doch ein Leben in diesem Heim will er sich nicht weiter vorstellen und nutzt eine Gelegenheit zur Flucht, die genau zum Zeitpunkt der Mondlandung stattfindet. Er wird zwar nach einem Tag wieder aufgegriffen, doch durch diese Flucht wird eine Familie auf ihn aufmerksam, die ihn schließlich adoptiert und somit seinem Leben eine solche Wendung gibt, mit der er nicht mehr gerechnet hätte. Und mit dieser Adoption werden auch nach und nach einige andere Lebensläufe auf den Kopf gestellt. Die Hauptteile der Geschichte sind dabei vor allem Hardy gewidmet, bei dem im Kinderheim der Wunsch heranreift, Astronaut zu werden, um genau so berühmt zu werden, wie Neil Armstrong und Buzz Aldrin. Er lernt sehr viel, überspringt Klassen und doch kommt es bei ihm anders, als gedacht. Bei späteren Teilen der Geschichte, die gerade in den 1990ern spielen, erinnerte Hardy mich irgendwie an den Tausendsassa Elon Musk, der hier sicherlich ein wenig Pate stand.
Unterfüttert wird die Biographie von Hardy, indem die Familienchronik über seinem Opa Adam und Mutter Martha von Beginn des 20.Jahrhunderts an erzählt wird. So ergibt sich ein buntes Kaleidoskop an Geschichten, die dieses Jahrhundert prägten und an denen die Familie Rohn irgendwie involviert war.
und endet einen Tag vor dem 11.September 2001
Der 11.September 2001 hat, wie oben schon angedeutet, das 20.Jahrhundert endgültig begraben. Diese Anschläge werden im Buch nicht erwähnt, bilden aber die Klammer, um den Roman abzuschließen, denn es endet am 10.September 2001, der letzte Tag, an dem man noch hoffnungsvoll und freudentrunken in die Zukunft schauen konnte. Die Klammer, die das 20.Jahrhundert und seine Zeitläufte prägte, wird durch den Ersten Weltkrieg eröffnet. Norbert Zähringer verhandelt viel in diesem Roman, reißt einiges an, bringt es zur Sprache und lässt es wieder fallen. Er schreibt relativ wertungsfrei von diesen Ereignissen, die das 20.Jahrhundert prägten. Einzig die Mondlandung als zentrales, dem Buch vorangestelltes Ereignis (immerhin ist ein Raketenstart auf dem Cover abgebildet) wird immer wieder erwähnt und ausgewertet, ist das Jahr 1969 ein zentraler Ankerpunkt, an den die Geschichte um Hardy und seinen Verwandten/Bekannten immer wieder zurückkehrt.
Ich bin in meiner Meinung und Wertung zu dem Roman zwiegespalten, wie ich das alles auffassen soll. Zum einen ist es eine wunderbare Zeitreise in das vorangegangene Jahrhundert, welches ich immerhin auch 18 Jahre lang miterleben durfte. Doch dadurch wirkt vieles gehetzt und irgendwie auch angestrengt bemüht, um auch ja viel von den großen, das 20.Jahrhundert prägenden Schauorten unterzubringen. Das war leider etwas unentschlossen, da bis auf der Mondlandung auf nichts richtig ein Fokus liegt. Was diesen Roman trotz allem aus dem negativen Strudel heraus zieht und ihn aus meiner persönlichen Sicht wirklich für die Longlist qualifiziert, ist seine Sprache, die Zähringer wählt und in die ich mich anfangs erst einmal reinfinden musste. Er hat für jede Figur eine andere Art, diese zu Wort kommen zu lassen und diese zu charakterisieren. Zum Beispiel Hardys Geschichte wird eher aus der Distanz von einem neutralen Beobachter beschrieben, während Hardys Mutter Martha selbst zu Wort kommt und in eher einfachen Worten ihren Lebenslauf beschreibt. Auch andere Figuren treten auf, zwar kürzer als Hardy und Martha, aber immer noch genug Spielraum, um ihnen eine eigene Stimme zu geben.
Der Titel ist Programm, der Rest hallt leider nicht nach
Letztendlich ist der Titel des Buches wirklich maßgebend und man sollte ihn auch wirklich unter dem Credo lesen und sich fragen wo man war, als der erste Mensch auf dem Mond landete, die Börse wegen der Internetblase platzte oder, wenn auch nicht im Roman behandelt, im Jahr 2008 die Banken implodierten und so vieles mehr. Wenn man das Buch also unter diesem Punkt liest, dann macht alles einen Sinn. Leider geht mir als Leser ein wenig die Luft raus, den Figuren Interesse entgegenzubringen. Es wirkt alles distanziert, wie durch Milchglas betrachtet und hinterlässt keine Spuren. Man verfolgt das zwar alles mit einem gewissen Interesse, aber es berührt einen nicht. Der Roman steht wegen der sprachlichen Varianz und dem Überthema „Große Ereignisse des 20.Jahrhunderts und wie sie eine Familie erlebt“ zurecht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Für den nächsten oder den großen Wurf wird es wohl eher nicht reichen.
Auch wenn ich dem Buch kritisch gegenüberstehe und manchmal auch etwas genervt war von den Purzelbäumen, die die Geschichte machte, so habe ich es doch gerne gelesen und gerade die letzten zweihundert Seiten, als der Fokus konzentrierter auf Hardy und seinem Leben stand, flogen nur so an mir vorüber.
Mein Name ist Marc und ich blogge seit über sechs Jahren auf „Lesen macht glücklich„. Ich sehe mich als Queerbeetleser und „Aus dem Bauch Heraus“- Besprecher. Eine analytische Auseinandersetzung mit den Texten gibt es von mir als Maschinenbauer eher selten, dafür ein kritisch geübter Blick eines Durchschnittslesers. Ich hoffe, dass genau das beim Buchpreisbloggen in der Besprechung zu meinem Buch durchscheint.