Hallo, ihr Lieben!
Ich bin eine der Bloggerinnen des Deutschen Buchpreises und durfte im Rahmen dessen Karen Köhlers Miroloi lesen. Miroloi hat es auf die Longlist des Buchpreises geschafft und mich in der Inhaltsangabe mit seinem dystopischen, misogynen Setting direkt neugierig gemacht.
ZUM INHALT
In Miroloi geht es um eine junge, namenlose Frau, die als Findelkind in einem kleinen Dorf auf einer Insel aufwächst – ohne Kontakt zur Außenwelt. In diesem Kosmos haben Männer das Sagen. Das bedeutet, Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, arbeiten auf dem Feld und haben zu gehorchen. Die Männer hingegen dürfen nicht singen und sowohl Männer als auch Frauen haben der Khorabel und den heiligen Gesetzen zu gehorchen.
Als Leser begleitet man eine Protagonistin, die, von der eigenen Neugierde getrieben, nach und nach die vorgepredigten Gesetze hinterfragt und sich gegen das bestehende System auflehnt.
BEDRÜCKEND UND ERMUTIGEND
Ich brauchte einige Seiten, um mich in das Setting und den Erzählstil der namenlosen Ich-Erzählerin einzufinden, aber dann war ich völlig gefangen. Und gefangen bezeichnet auch das Gefühl, das man als Leserin erhält ziemlich gut. Denn gemeinsam mit der Protagonistin erlebt man deren Unterdrückung und tägliche Schikanen. Nicht nur, dass sie eine Frau ist, sie ist noch dazu ein Findelkind von draußen, keine gebürtige Dorfbewohnerin und somit auf den Schutz des Betvaters des Dorfes angewiesen.
Die Gesetze im Dorf werden nicht hinterfragt, ihnen wird gehorcht. Wer das nicht tut, landet am Pfahl – oder zahlt sogar mit dem Leben. Angst, sexuelle und gesellschaftliche Unterdrückung und häusliche Gewalt dominieren den Alltag der Frauen des “schönen Dorfes”. Ab und an kommt ein Händler von “drüben” vorbei und bringt Waren mit: von Tampons bis hin zu Feuerzeugen. Doch alles, was zu große Veränderung bedeutet, wird vom Dorf abgelehnt.
Ihr könnt nicht lesen! Ihr könnt nicht spielen! Kommt nicht auf dumme Gedanken. Die Sommerhitze verdreht euch den Kopf. Euer Platz ist da, wo er ist: im Haus, im Garten und auf dem Feld. So war es immer und so wird es immer bleiben.
Miroloi – Karen Köhler, S. 218
Karen Köhler hat es geschafft, mich vollkommen auf die Insel zu transportieren und mit der Protagonistin mitfiebern zu lassen. Nicht nur die Protagonistin ist dabei ein unglaublich spannender Charakter, auch die Frauen und Männer, mit denen sie in täglichen Kontakt tritt. Während man sich für jede kleine Freiheit, die sich die Frau erkämpft, mit ihr gemeinsam freut, wird alles von einer Angst des Entdecktwerdens überschattet. Stetig schwankt man zwischen dem Wunsch nach Freiheit und Sicherheit und kann so authentisch mitempfinden, wie sich die unterdrückten Frauen in der Gesellschaft fühlen müssen.
Die patriarchalen Regeln des Dorfs sind inszeniert, aber in sich schlüssig und zeigen exemplarisch, wie so eine archaische Gesellschaft auch heute noch funktionieren kann. Durch den Händler, der die Insel immer wieder besucht und Gegenstände unserer heutigen Realität zu feilschen versucht, wird man immer wieder mit der Nase darauf gestoßen, dass diese abstruse Welt im Heute spielt. Dass da draußen wirklich Menschen sind, für die ein solches Leben eben keine Fiktion ist, die man sich abends auf dem Couch zu Gemüte führt, sondern Realität.
Götter, lehrt mich das Denken, macht meine Worte scharf wie Messer.
Miroloi – Karen Köhler, S. 333
Ohne etwas vom Verlauf der Geschichte zu verraten, kann ich nur sagen, dass mir das Ende des Buchs sehr gut gefallen hat. Karen Köhler wählt nicht den typischen Weg, beantwortet einige Fragen, lässt aber genau die richtige Menge an Fragen offen, sodass die Erzählung noch lange nachklingt.
FAZIT
Miroloi mag es nicht auf die Shortlist geschafft haben, ist für mich aber ein ganz klarer Sieger und konnte mich absolut überzeugen.