Franzobel folgt den Spuren des spanischen Conquistadoren Hernando de Soto und blickt tief in die Psyche der europäischen Eroberer.
Hernando, im Buch Ferdinand genannt, ist bereits ein Held, als er seine größte Expedition startet. Eroberungszüge hatten ihn nach Panama und Nicaragua geführt, und, zusammen mit Francisco Pizarro, in das Inkareich in Peru. Doch wo ist Eldorado, die Stadt aus Gold? Ferdinands nächstes Ziel ist Florida.
Eine achthundert Mann starke Expedition macht sich auf den Weg. Doch ihre Reise, die sie bis ins heutige Kansas führen soll, ist wenig von Glück beschieden: Widerständige Ureinwohner, die brutal niedergemetzelt werden, undurchdringliche Sumpfgebiete, Fieber und Kälteeinbrüche stehen den ruhmreichen Eroberern im Wege, die am Ende gar nicht mehr so ruhmreich daherkommen: Gerade einmal zweihundertelf von ihnen kehren 1543, nach vier Jahren Irrfahrt, lebend zurück. Ferdinand ist nicht darunter.
Die menschlichen Extremzustände zwischen Wahnsinn und blutrünstiger Wüterei zeichnet Franzobel, der zuletzt mit seinem Roman Das Floß der Medusa die Schrecken des Meeres erkundet hat, mit dickem Pinselstrich: Da werden die Säbel geschwungen, die Pfeile fliegen, es wird skalpiert, geköpft und zerstört wie in den Serien Game Of Thrones und The Walking Dead zusammen. Der Fokus der Erzählung liegt dabei auf Ferdinands engstem Vertrautenkreis, seinen Kumpanen, die klingende Namen tragen wie Luis de Moscoso, genannt Moskito, Nuño de Tobar, Francisco de Maldonado, Juan de Añasco und Rodrigo Ranjel, Spitzname „Stummel“, dazu kommen noch die beiden Kleinkriminellen Bastardo und Cinquecento, der Schiffbrüchige Elias Plim, der eine haarsträubende Geschichte über sein Schicksal parat hat und diverse Nebenfiguren, die kräftig zum Kolorit des Romans beitragen. Ein witziges Detail: Franzobel beteuert in seiner Danksagung, die Geschichte möglichst wahrhaftig erzählt haben zu wollen – tatsächlich wird hier so wild fantasiert und in Nebenhandlungen abgeschweift, dass es unmöglich ist, überhaupt noch etwas von dem Geschehen für bare Münze zu nehmen: Quigley, der englische Koch der Truppe etwa, erfindet im Roman sowohl das Football-Spiel als auch Coca-Cola; der Schwabe Wilhelm Friedrich Erasmus Müggenpflug, genannt Gunkel, gibt den Kulturmenschen und sammelt Kunsthandwerk, und der niederländische Arzt Cord Fenk, Sohn eines Wurstmachters, ist berüchtigt für seine Aderlässe. Ein buntes Völkchen sehr von sich selbst überzeugter Europäer also, die nach und nach erkennen müssen, dass ihre Mission ein heilloses Himmelfahrtskommando ist, und in ihren kleinlichen Bemühungen dadurch um so lächerlicher erscheinen.
Allmählich war selbst er das Erobern leid. Der Feldherr fühlte, dass er dieses Erobern im Grunde verabscheute. Wo war sein Glaube, seine Überzeugung? Diese Expedition hatte einen anderen Menschen aus ihm gemacht. Aber was war das für eine weiche, unsichere Kreatur, die da aus der gepanzerten Larve seines früheren Lebens geschlüpft war? Ein unerschrockener Held? Nein, ein unsicherer, verzweifelter, von Eifersucht geplagter, verwirrter Mensch, der seine Getreuen ins Verderben führte.
Zwei Handlungsstränge flicht Franzobel in die Geschichte dieser grandios lächerlichen, an Werner Herzogs Fitzcarraldo erinnernden Expedition noch ein: Da ist zum einen der Notar Turtle Julius, der das Testament des Grafen von Orgaz zu vollstrecken hat und mit an Irrsinn grenzender Beharrlichkeit dem Alleinerben Ambrosio Bastardo, der von seinem Glück nichts ahnt, bis in die Neue Welt folgt – und dabei am Ende so übel zugerichtet wird, dass er den Ureinwohnern wie das gefürchtete Fabelwesen Wendigo vorkommt. Zum anderen, und das ist eigentlich der vielversprechendere der beiden, der aber leider viel zu kurz kommt: In der Gegenwart erhält der Anwalt Trutz Finkelstein ein Schreiben, in dem die amerikanischen Ureinwohner die Restitution des Gebiets der Vereinigten Staaten fordern und macht sich, allen widrigen Umständen zum Trotz, tatsächlich daran, eine Sammelklage vor dem Obersten Gerichtshof anzustrengen. Auf den letzten Seiten des Romans, als es fast schon zu spät scheint, wird auch dieser Strang wieder aufgegriffen und bildet den krönenden Abschluss einer wahren tour de force durch das vielleicht düsterste Kapitel der europäischen Kolonialgeschichte.
Den Originalbeitrag findet ihr im Blog von Fabian Thomas.