Buchpreisbloggen mit Stefan Härtel (Bookster HRO): „Gelenke des Lichts“ von Emanuel Maeß

Seit ein paar Jahren wird die Longlist des Deutschen Buchpreises von einer bunten Schar Bloggerinnen und Bloggern offiziell begleitet, mit wechselnden Regularien. 2019 läuft es erstmalig nach dem Prinzip Patenschaft ab: Jeder bekommt einen Buchpreis-Kandidaten zugelost, liest ihn aufmerksam und bespricht ihn subjektiv. Unter dem Hashtag #buchpreisbloggen sollen sich auf diese Weise Rezensionen jenseits des Feuilletons sammeln und im besten Fall zu Diskussionen anregen. In diesem Jahr habe ich die große Ehre, bei dieser Aktion ein bisschen mitmischen zu dürfen. Mein Patenbuch ist der Debütroman GELENKE DES LICHTS von Emanuel Maeß, von dem ich vorher noch nie etwas gehört hatte.

Vor einigen Jahren, als ich einen Abend lang vergeblich auf Dich wartete, ergab sich die Gelegenheit, wieder einmal einem Mond zuzusehen. (Seite 7)

Der Ich-Erzähler, der bis zum Schluss namenlos bleibt, ist seit frühester Jugend in ein Mädchen verliebt. Während eines Familienurlaubs auf Usedom lernt der damals Elfjährige die noch jüngere Angelika kennen, die mit ihrem engelsgleichen Wesen sein Herz erobert. Zurück in seiner Heimat zwischen dem Thüringer Wald und der innerdeutschen Grenze vergehen die Jahre, ohne dass er das Mädchen vergessen kann. Die Wende macht aus der DDR-Peripherie das Zentrum Deutschlands. Ganz neue Bildungsmöglichkeiten locken den Erzähler hinaus in die weite Welt, er lebt kurz in Berlin, studiert Literatur in Heidelberg und Cambridge, lernt Menschen aus der ganzen Welt kennen, schließt innige Freundschaften – und doch gehört sein Herz nur der Einen und Einzigen.

Was wie eine kitschig-romantische Liebesschmonzette klingt, ist in Wahrheit ein getarnter Bildungsroman. Emanuel Maeß konzentriert sich eher auf das Heranwachsen und die Mannwerdung seines Protagonisten, als auf dessen jahrelanges Schmachten. Tatsächlich bleibt die Liebe einseitig und unerwidert; bis auf ein paar über die Jahre verteilte Briefe und Treffen ist bei Angelika nichts zu holen, was den armen Tropf immer mehr verzweifeln lässt.

Eigentlich eine schöne Geschichte: Eine tragische Liebe, ein Junge, der zum Manne reift, ein bisschen deutsch-deutsche Historie – der Roman kann in vielem punkten. Wäre da nicht Maeß‘ furchtbar aufgeblasener Schreibstil! Ich habe nichts gegen eine gepflegte Sprache, gegen Eloquenz und gehobenen Stil, aber was der Autor hier abliefert, ist so dermaßen drüber, so völlig too much, dass die Lektüre für mich mit jedem Kapitel nervtötender wurde und am Ende einem Ärgernis gleichkam. Maeß schreibt wie seine literarischen Vorbilder – ich vermute, es sind dieselben, wie die des Protagonisten –, nur dass die schon seit zweihundert Jahren tot sind.

Was in aller Welt hat den Autor geritten, eine Jugend in den Neunzigerjahren so geschwollen zu beschreiben? Das passt einfach nicht zu jener Zeit. Und ich weiß, wovon ich spreche: Auch ich bin Ende der Siebziger in einem Randgebiet der DDR aufgewachsen, in den wilden Neunzigern groß geworden, war verliebt und bin gereift – und alles ohne je wie Goethe gequatscht zu haben. Maeß Stil ist anachronistisch und alles andere als authentisch. Zuerst dachte ich, es stecke eine tiefere Absicht dahinter, die sich im Laufe der Geschichte erst zeigen würde, aber da kam nichts. Der Text bleibt – ich muss es so hart sagen – gekünstelt und elitär. In den besten Momenten blitzt ein wenig Selbstironie und Wortwitz auf – dass zum Beispiel der Ich-Erzähler im Laufe der Jahre zum Angelikaner wird, ist ein Brüller –, ansonsten verliert sich die Prosa in redundanten Naturbeschreibungen und philosophischem Geschwätz, für die Story zum größten Teil irrelevant. Ich halte es da mit Kurt Vonnegut, der einmal sagte: »Jeder Satz muss eines von zwei Dingen tun: Charaktere vertiefen oder die Handlung vorantreiben.« Von solchen Sätzen gibt es bei Maeß viel zu wenige.

Ob GELENKE DES LICHTS das Zeug für die Shortlist oder gar den Deutschen Buchpreis hat? Ich denke nicht, dazu ist er viel zu speziell. Der Buchpreis – bei allem Respekt – ist eine Veranstaltung für das breite Publikum. Hier geht es in erster Linie um eine gesunde Mischung aus Anspruch und Leichtigkeit, und nicht zuletzt um Verkaufszahlen. Ich habe mich bei der Lektüre oft gefragt, wer die Zielgruppe für diesen Roman ist. Literaturprofessoren? Klassikliebhaber? Jan Drees? Der Durchschnittsleser wird hieran jedenfalls keine Freude haben.

Ansonsten blieb von der Geschichte nichts weiter als ein […] Drahtgeflecht von Sätzen um eine leere Mitte. (Seite 246)

GELENKE DES LICHTS erschien im Wallstein Verlag, dem ich herzlichst für das Rezensionsexemplar danke. Alle Informationen über Buch und Autor, sowie eine Leseprobe findet Ihr hier. Und noch eine kleine Bitte: Kauft Bücher in Euren Buchhandlungen vor Ort. Die Online-Riesen sind schon satt genug und Eure Innenstädte werden es Euch danken.

Stefan Härtel, geboren 1978 in Rostock, betreibt seit 2015 den Blog BOOKSTER HRO. Dort veröffentlicht er im Wochentakt Rezensionen zu aktuellen Romanen und Erzählbänden meist aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum.